Thomas Finn persönlich 

»Ich für meinen Teil habe es nie bereut, den Blick in die Zukunft ausgeschlagen zu haben. Ich wollte nie wissen, was kommen wird, und es interessiert mich auch heute nicht. Im Gegenteil, wer in sich hineinhorcht, weiß, dass es Gewissheiten gibt, für die es keines Blickes in die Zukunft bedarf. Nicht von ungefähr heißt es, dass das Schiff der Zeit von zwei Segeln angetrieben wird: den Träumen und den Wünschen. (...)«

- Greifax Vermächtnis, in: Gassengeschichten, Heyne 2000

Nichts als die Wahrheit ...

»Sag mal, Tom, wie bist du eigentlich zum Schreiben gekommen? Wie wird man Schriftsteller?« Wenn ich diese Fragen höre, bin ich um eine Antwort meist verlegen. Ein Zustand, der sich schon gar nicht bessert, wenn man von seiner Webmistress – unter der Androhung, die eigene Seite wieder vom Netz zu nehmen – auf übelste Weise dazu erpresst wird, Stellung zu sich selbst zu beziehen.

Denn Hand aufs Herz: Haben Sie schon einmal versucht, etwas über sich selbst zu schreiben?

Es ist ein Graus.

Sogar meine letzte Steuererklärung habe ich dieser Tätigkeit vorgezogen.

... aber lesen Sie selber!

» Dichter & Denker?

Auch in Deutschland umwehte mich in meiner Kindheit nicht jene viel gerühmte Atmosphäre des »Landes der Dichter und Denker«. Mein Vater war Kaufmann, meine Mutter Hausfrau, meine drei jüngeren Geschwister Sabine, Axel und Dagmar sind heute Ärztin, Rettungssanitäter und Sonderschulpädagogin. Es ist naheliegend – und entspricht auch der Wahrheit –, dass ich die Schreiberei als »brotlose Kunst« lange Jahre nicht als Beruf in Erwägung zog. Berufen zum Erzählen von Geschichten und zum Umgang mit ihnen fühlte ich mich allerdings schon von Kindesbeinen an.

Als 7-jähriger war mir klar, welcher Autor »der größte aller Zeiten« war: James F. Cooper. Die Geschichten von »Lederstrumpf«, die mein Vater uns Kindern abends immer vor dem Zubettgehen vorlas, begeisterten mich mehr als Astrid Lindgren oder Ottfried Preußler. Ein Wehmutstropfen erwartete mich allerdings am Ende des »Letzten Mohikaners«. Denn die Geschichte wartete nicht mit jenem Happy End auf, das ich mir gewünscht hatte. Ich weigerte mich standhaft, dieses Ende zu akzeptieren und erfand ein eigenes, das ich meinen Geschwistern präsentierte.

Meine Liebe für Geschichten mit einem guten Ende habe ich mir bis zum heutigen Tage bewahrt. Wie überall gibt es auch zu diesem Thema die unterschiedlichsten Meinungen. Die meine ist: Wenn ich als Leser Tage und Stunden hindurch mit einem Protagonisten leide und mit ihm fiebere, möchte ich am Ende nicht mit einem schalen Gefühl von vergebener Liebesmüh allein im Regen stehen. Auch als Schriftsteller ist die Botschaft meiner Erzählungen stets hoffnungsvoll und ermutigend. Mag der Weg zum Ziel noch so schwierig sein – zumindest einen Teilsieg sollte der Held – und mit ihm der Leser – am Ende erringen können.

» Kaulquappen, Kurzgeschichten, Krimis & Raketen

Aber ich greife voraus. Nach Lederstrumpf waren es diverse Märchensammlungen und Jugendromane – insbesondere die Geschichten um 1001 Nacht, sowie die »Geheimnis um ...-Romane« von Enid Blyton, die mich in meiner Jugend verzauberten und in ihren Bann zogen.
Bodenständig wie ich war (und im Übrigen in weltlichen Dingen zu einem Gutteil noch immer bin), hatte ich mir überlegt, was ich später einmal werden wollte: Biologe! Ich wurde zum begeisterten Kaulquappen-, Ameisen- und Regenwurmjäger und züchtete über Jahre hinweg – zum Schrecken meiner Mutter – leidenschaftlich gern Mehlkäfer und andere Krabbeltiere, die ich hernach fein säuberlich unter dem Mikroskop sezierte.
Meine Liebe für aufregende Geschichten jedoch blieb ungebrochen. In den »Forschungspausen« entstanden meine beiden ersten handschriftlich verfassten Kurzgeschichten, mehrere Comics und (gemeinsam mit einem Freund) ein gutes Dutzend Krimi-Hörspiele, die ich jedem vorspielte oder zu lesen gab, der mir unter die Finger kam. Besonders die Hörspiele hatten es mir angetan. Inspiriert wurden mein Freund und ich vor allem von Geisterjäger John Sinclair. Nach seinem Vorbild rückten auch wir unerschrocken den Bedrohungen der Hölle zu Leibe. Um unsere Hörspiele mit der rechten Akustik zu unterlegen, verteilten wir eimerweise Kies auf dem Teppich (Schritte auf einem Friedhof / Zimmerverwüstung), feuerten mit Spielzeugpistolen (tote Schurken, kreischende Schwestern), schlugen mit Topflöffeln auf Wassereimer ein (Meeresgeräusche / Teppichüberflutung) und zerknüllten Berge von Zeitungen (Erzeugung von knisterndem Feuer / Berge von Müll).
Eines der Bänder existiert immer noch: zwei piepsige Jungenstimmen, die voller Inbrunst von Weltenrettung und Monsterjagd sprechen. Brüllend komisch – aber damals hielten wir unser Werk selbstverständlich für ein Stück Horrorgeschichte der Superlative.

Derweil feilte ich gemeinsam mit einem Freund weiter an meiner Karriere: Mikroskope, Käferbehältnisse und in Spiritus eingelegte Amphibien im Keller des Finn'schen Hauses wichen einem veritablen Chemielabor. Wahrscheinlich weiß nur meine Mutter, wie viele Hosen ich mir damals durch Säure ruiniert habe. Und damit nicht genug – unsere Experimente entwickelten sich stetig weiter, bis wir uns schließlich (Albtraum aller Eltern, Traum eines jugendlichen Chemikers) selbst gebastelten Raketen und experimenteller Sprengstoffforschung zuwandten.

Eines Tages war es so weit: Unsere erste Rakete flog – allerdings auseinander und in alle Richtungen. Rückschläge dieser Art und die ernüchternde Konfrontation mit der komplizierten organischen Chemie ließen mich schließlich meine Träume vom erfolgreichen Chemikerdasein zu Grabe tragen.

» Playmobil, Mädchen und ein Spiel

Stattdessen begann mein Interesse für etwas gänzlich anderes zu wachsen: Mädchen! Das war mir recht drastisch im zarten Alter von 13 klar geworden, denn besonders angetan hatte es mir eine Freundin meiner Schwester. Mein Freund und ich spielten damals mit unzähligen Playmobil-Figuren wieder einmal die Abenteuer des Geisterjägers John Sinclair nach – cool bewaffnet im erfolgreichen Kampf gegen ungezählte Zombie-Horden. Plötzlich standen sie und meine Schwester in der Zimmertür. Sie sahen uns, grinsten und machte auf dem Absatz kehrt. Mein Gott, war das peinlich!
Playmobil haben wir danach so schnell nicht wieder angerührt ...

Dennoch sollte es nicht lange dauern, bis mein Faible für das andere Geschlecht mir eine gänzlich neue Welt eröffnete. Im Jahr 1984, damals war ich 17 Jahre alt, blätterte ich wieder einmal (im Geheimen, versteht sich) interessiert in dem Magazin »Mädchen«, der wöchentlichen Lektüre meiner Schwester. Irgendwo zwischen den Aufklärungsseiten und einem Bericht über die »Neue Deutsche Welle« befand sich eine seltsame Anzeige des Schmidt-Spiele Verlags. In dieser wurde ein »Phantasie-Spiel« angepriesen, das ohne Brett auskommen sollte. Sein Name: Das Schwarze Auge!
Es hieß, man könne mit Hilfe dieses Spieles phantastische Geschichten so erleben, als sei man selbst der Protagonist der Handlung – ein Traum!
Unter Einsatz all meiner Eloquenz leierte ich meinen drei Geschwistern jeweils 10 DM aus der Tasche, um uns – genau genommen: mir! – dieses Spiel leisten zu können. Als ich den Kasten endlich in der Hand hielt und langsam begriff, was für eine Welt sich mir mit diesem Kauf erschloss, war es um mich geschehen. Die Anzeige hatte nicht zu viel versprochen. Mehr noch: das Spiel ermöglichte es sogar, gemeinsam mit Freunden in jede denkbare Roman- oder Filmwelt einzutauchen. Und genau das taten wir auch.

Es kam, wie es kommen musste: Schnell waren die zum Spiel publizierten Geschichten gespielt, und wir lechzten nach neuen Heldentaten. So entwickelte sich das »Abenteuer-Schreiben« zu einer neuen Leidenschaft. Neben etlichen unvergessenen Stunden verdanke ich der intensiven Auseinandersetzung mit dieser Spielegattung die Basis jenes handwerklichen Rüstzeugs, auf das ich als Schriftsteller auch heute noch zurückgreife.
Damals betrieb ich noch politische Jugendarbeit und hatte viel Spaß mit Breakdance-Auftritten. Doch mit der Schreiberei und der damit einhergehenden Entdeckung der Schreibmaschine gerieten all diese und andere Hobbys zunehmend ins Hintertreffen. Schnell reichte mir das Schreiben von Abenteuern für meine Spielrunde allein nicht mehr aus. Gemeinsam mit meinem Freund Hanke Penning konzipierte ich das Fanmagazin »Die Schriftrolle«, um so andere an meiner Begeisterung teilhaben zu lassen – und wagte mich somit erstmals als Autor an die Öffentlichkeit.

» Ausbildung und Auszeichnung

Beruflich hatte ich mich nach Abi und Bundeswehr nunmehr für eine Ausbildung als Werbekaufmann entschlossen, da dieser Beruf Kreativität und kaufmännische Bodenständigkeit in Einklang zu bringen versprach. Im Jahr 1988 zog ich nach Hamburg, wo ich erst die Lehre und anschließend das Studium der Volkswirtschaft absolvierte. Doch auch zwischen Wirtschaftskreislauf und Steuerrecht blieb noch immer genug Zeit, meiner eigentlichen Passion zu frönen: dem Lesen. Mittlerweile bestand meine Wohnungseinrichtung vornehmlich aus Bücherregalen – von Tim Powers über Philipp Vandenberg, Barbara Hambley, Ellis Peters und einige Werke von Ken Follett verschlang ich alles, was mir an aufregendem Lesestoff in die Finger geriet. Bis heute ist es mir unverständlich, dass es Menschen gibt, die ohne Bücher leben können.

Obwohl ich davon überzeugt war, dass mein Brotberuf eines Tages in der Werbewirtschaft liegen würde, verbrachte ich die freie Zeit neben Ausbildung und Studium vor allem damit, als Autor und Redakteur für diverse deutsche Verlage und Magazine zu schreiben. Im Jahre 1992 erhielt ich meine erste Auszeichnung: den »ZauberZeit-Leserpreis«.
Zur gleichen Zeit entdeckte ich übrigens meine Begeisterung für die Ausrichtung sogenannter Live-Rollenspiele – eine Art phantastisches Improvisationstheater, bei dem die Teilnehmer z.B. mit Schwert und Kostüm in rauschenden Wäldern und auf finsteren Burgen herumstreifen.
Klingt abenteuerlich? Ist es auch – weswegen ich auch heute, wenn es mir die Zeit erlaubt, diesem Hobby mit vielen gleich Gesinnten nachgehe.

Nach Fertigstellung meiner Diplomarbeit hatte ich es, ohne es so recht zu bemerken, auf eine ganz stattliche Zahl an Veröffentlichungen gebracht. Nach langem Hadern fasste ich schließlich einen Entschluss:
Trotz umfangreicher Ausbildung (und ungeachtet aller finanzieller Konsequenzen) beschloss ich, mich endlich ganz dem zu widmen, woraus ich bis zum heutigen Tag einen Gutteil meiner Lebensfreude schöpfe: der Schreiberei!
Ich bewarb mich daher hier in Hamburg als einer von 120 Kandidaten hoffnungsfroh um einen der sechs Plätze des Aufbaustudium Films in der Sparte Drehbuch.
Leider ohne Erfolg.

» Eine Absage und ein »Happy End«

Keine Frage: Dieser Zurückweisung begegnete ich natürlich wie ein Mann!
Oder versuchte es zumindest. Und tatsächlich – einige aufbauende Gespräche mit guten Freunden und gutem Bier später fand ich im Zuge einer Volontariatsbewerbung eine Anstellung als Lektor & Dramaturg im Ullmann Verlag für Film, Fernsehen & Theater. Nicht nur, dass ich mich hier mit Drehbüchern und Theaterstücken beruflich befassen konnte – der Job ließ mir auch genügend Freiraum, weiterhin selbst als Autor tätig zu bleiben. Volker Ullmann, mein damaliger Chef, ist heute mein kompetenter Partner in den Bereichen Film und Theater. Auch andernorts ging es voran: Wenig später wechselte ich zusätzlich vom Autor zum Chefredakteur der Nautilus – und somit in den Hamburger Abenteuer Medien Verlag. Fortan ging es Schlag auf Schlag: Im Bereich der Spielepublikationen hatte ich schon zahlreiche Werke für Verlage wie Laurin, Schmidt-Spiele, Fantasy Productions und Pegasus verfasst. Nun kamen Arbeiten für Film & Fernsehen, sowie den Heyne- und den Piper-Verlag hinzu.

Im Jahr 2001 zwangen mich meine zunehmenden schriftstellerischen Verpflichtungen, das Steuerrad der Nautilus zu verlassen. Es war dies für mich der letzte und endgültige Schritt in die hauptberufliche Arbeit als Schriftsteller – und ich könnte mir ehrlich gesagt keinen schöneren Beruf vorstellen.

Wie also bin ich zum Schreiben gekommen? Durch eine aus Amerika eingeschleppte Grippe? Durch Lederstrumpf, Mehlwürmer, Raketenforschung, Mädchen und John Sinclair? Durch ein bisschen von alledem? Vielleicht ist die Antwort, die der Wahrheit am nächsten kommt, diese: Weil ich das Abenteuer liebe. Und Geschichten, die von diesen Abenteuern erzählen. Weil ich die Herausforderung liebe, sie immer geliebt habe. Und was kann es Schöneres geben, als die Herausforderung des »weißen Blattes« anzunehmen und ihm seine Geschichte zu entlocken, seine Abenteuer sichtbar, erlebbar zu machen? Mit einem Protagonisten selbst mitzufiebern und ihn gleichzeitig zu erschaffen?

Bleibt noch die zweite Frage: Wie wird man vom Geschichtenerzähler zum Schriftsteller?
Viele Autoren antworten hierauf ganz lapidar mit: »Indem man schreibt«. Das ist zwar richtig – aber in meinen Augen nur die halbe Wahrheit. Ein gewisses Talent gehört sicherlich ebenfalls dazu. Ebenso wichtig scheint es mir zu sein, dass man – trotz unvermeidbarer Rückschläge – nicht aufhört, an sich selbst zu glauben, unbeirrt an sich selbst zu arbeiten und stets im Leben dem nachspürt, was das eigene Bauchgefühl rät.
Aber vielleicht ist auch das nur eine Binsenweisheit und trifft für jeden zu, der einer Tätigkeit nachgeht, die für ihn Bestimmung und Erfüllung gleichermaßen ist.

Thomas Finn, 2004

 

 

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