Leseprobe »Die letzte Flamme«

Der Wind trug das Dröhnen der Kriegstrommeln heran. Das unheimliche Geräusch hatte mit Anbruch der Abenddämmerung eingesetzt, erfüllte die Ebenen vor den Toren Colonas wie ein mächtiger Puls und übertönte sogar das Grollen des Gewitters, das am nördlichen Horizont heraufgezogen war.

Kai stand mit unbewegter Miene auf der gewaltigen Ringmauer der Stadt und umschloss mit festem Griff seinen Zauberstab. Die Luft schmeckte nach Rauch und Verderben. Beständig zuckten Blitze über den wolkenverhangenen Himmel, die die Auenlandschaft zwischen den fernen Ausläufern des Elfenwaldes und den nahen Fluten des Flusses Rhyn in ein gespenstisches Flackerlicht tauchten.
Vor ihm erstreckten sich brennende Bauernkaten, abgeholzte Hügel und hohe Erdaufwürfe, zwischen denen dunkle Reiter zu erahnen waren. Mit rüden Gesten trieben sie Rotten wankender Kämpfer vor sich her: Untote, wandelnde Skelette und Wiedergänger, wie jeder in Colona nur allzu gut wusste.

Morgoya, die unheimliche Nebelkönigin von Albion, und ihre finsteren Zauberer hatten die Toten aus ihren Gräbern gerufen und über das Nordmeer auf den Kontinent geführt. Doch die grässliche Leichenschar war nicht die einzige Bedrohung, vor der sie sich in Acht nehmen mussten. Auf den Hügeln im Norden waren die Silhouetten großer Katapulte auszumachen, an denen Albions Geschützmeister schon seit Tagen bauten. Und auf der befestigten Straße nach Westen, in Richtung Elfenwälder, war bereits am Nachmittag ein großer Belagerungsturm herangeschleppt worden, in dessen Nähe unzählige Feuer eines großen Heerlagers zu sehen waren.
Siegessicher flatterten dort Standarten im Wind, deren Motiv im grellen Licht der Blitze gut zu erkennen war: ein schwarzer Drache auf rotem Grund. Das Feldzeichen Morgoyas.
Kai suchte den Nachthimmel nach Gargylen ab, doch von den geflügelten Schrecken Albions war nichts zu sehen. Aus irgendeinem Grund hielt Morgoya die fürchterlichen Monstren noch zurück. Warum, wusste niemand.

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